
Sollen Banken Geld schaffen können? Muss ein neues Finanzsystem her? Die wichtigsten Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen ab heute in Wien zusammen. Es geht um brisante Themen.
Zehn Jahre ist der Ausbruch der globalen Finanzkrise nun her. Inzwischen hat sich die Konjunktur gut erholt. Wunden und Zweifel bleiben aber. Auch unter Ökonomen schwelt die Debatte, wie es zu dem Desaster kommen konnte. Nun werden fast schon revolutionäre Fragen gestellt. Auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik – so heißt die Organisation deutschsprachiger Wirtschaftswissenschaftler – wird von Montag an über eine „Alternative Geld- und Finanzarchitektur“ debattiert. Der traditionsreiche Verein trifft sich dieses Jahr in Wien. Etwa 750 Volkswirte, Professoren und Nachwuchswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, sind angemeldet.
Die Ökonomen wollen das bestehende Geldsystem radikal hinterfragen. „Ja, wir wollen einmal richtig riskante Themen diskutieren“, sagt Hans Gersbach, Professor für Makroökonomie an der ETH Zürich, der die Kerntagung organisiert. Die Themen sind: eine mögliche Abschaffung des Geldschöpfungsprivilegs der Banken, die Abschaffung des Bargelds, Kryptowährungen wie Bitcoin und Free Banking, also privater Währungswettbewerb. Laut Gersbach sind das Fragen der Zukunft, angetrieben durch den technischen Fortschritt und Fintech-Firmen. „Große Umwälzungen“ im Geld- und Bankensystem werden kommen, ist er überzeugt.
Vorteile der 100-Prozent-Deckung
Um all das zu diskutieren, wird der Verein auch „kontroverse Redner jenseits des Mainstreams“ auf die große Bühne holen, kündigt Gersbach an. Der erste Hauptredner ist am Montag Michael Kumhof, leitender Berater der Bank of England, der britischen Notenbank. „Ich will darlegen, wie unser Bankensystem funktioniert, das wird heute von den meisten Ökonomen nicht mehr verstanden, anders als in den dreißiger Jahren, da haben es die führenden Leute durchschaut“, sagte er dieser Zeitung. Anders als die meisten denken, reichen die Banken bei der Kreditgewährung nicht einfach die hinterlegten Ersparnisse ihrer Kunden weiter. „Sie schaffen Giralgeld aus dem Nichts“, erklärt Kumhof. Er findet das problematisch.
In den dreißiger Jahren hatte es eine Debatte darüber gegeben. Damals kamen Reformvorschläge für eine 100-Prozent-Deckung der Einlagen auf. Dann könnten Banken nicht mehr eigenständig Geld schöpfen. Das Reformkonzept wurde als „Chicago-Plan“ bekannt, auch der bekannte Yale-Professor Irving Fischer unterstützte es. Ähnlich gelagert ist das „Vollgeld“-Konzept, für das in der Schweiz eine Volksinitiative wirbt. Kumhof hat vor einigen Jahren, als er noch beim Internationalen Währungsfonds (IWF) arbeitet, in einem aufsehenerregenden Papier den Chicago-Plan mit modernen Modellen durchgerechnet. Er kam zum Ergebnis, die 100-Prozent-Deckung hätte viele Vorteile: mehr Stabilität im Bankensystem, weniger Konjunkturkrisen, mehr Wohlstand. Zudem sei ein großer Schuldenabbau möglich – denn durch den gewaltigen Aufbau von Zentralbankgeld beim Übergang zur Volldeckung könnte ein Großteil der öffentlichen und privaten Schulden gestrichen werden. Letztlich wäre das aber eine monetäre Staatsfinanzierung durch die Notenbank. Das IWF-Papier schlug Wellen in den Medien, in der Wissenschaft und in der Szene der „Vollgeld“-Freunde.
„Sehr komplexe Operation“ mit Übergangsproblemen
Die meisten Mainstream-Ökonomen finden diese Ideen mehr als heikel. Die Bundesbank hat im Frühjahr die radikale Reformidee in ihrem Monatsbericht analysiert – und klar verworfen. Die 100-Prozent-Reserve mache das Bankensystem nicht stabiler, denn es könnte zu Ausweichreaktionen in den Schattenbankensektor kommen. Außerdem verlören Banken ihre volkswirtschaftlich wichtige Funktion etwa in der Fristentransformation, wenn sie keine Liquidität mehr schaffen könnten, weil die Geldschöpfung nur noch durch den Staat geschehe. Angesichts dieser Kritik ist es bemerkenswert, dass Kumhof den ersten Hauptvortrag auf dem Wiener Ökonomenkongress hält. Diesmal kann keiner klagen, der Ökonomenverein wage keine „plurale“ Debatte.
Neben dem Chicago-Plan wird er dort auch über digitale staatliche Parallelwährungen sprechen. „Eine öffentliche Bitcoin hätte viele Vorteile, man könnte öffentliches Geld in vollkommen inflationsfreier Weise herausgeben“, meint Kumhof. Es sei sogar denkbar, dass dieses Parallel-Bargeld Zinsen erhalte. Gleichzeitig stellt er klar: „Die Bank of England hat dazu lediglich Forschung gemacht, sie hat keine Absicht, das in der Realität umzusetzen.“ In verschiedenen Entwicklungsländern, etwa in Ecuador, werde darüber aber konkret nachgedacht. In Schweden gebe es Bemühungen, Bargeld komplett abzuschaffen und durch Digitalgeld zu ersetzen. Kumhof gibt aber auch zu, dass eine Umstellung des Banken- und Geldsystems eine „sehr komplexe Operation“ mit Übergangsproblemen sein würde.
400 Kurzreferate aus 800 Einsendungen
Nach dem Londoner Forscher wird der renommierte Bonner Ökonom Martin Hellwig einen Vortrag über „Geldtheorie, Bargeld und Giralgeld“ halten. Der israelische Informatiker und Kryptologieexperte Adi Shamir, der am Weizmann-Institut in Rechovot lehrt, wird in Wien über die „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Bitcoins“ sprechen. Shamir, Träger des Turing Award (eine Art Nobelpreis für IT-Wissenschaftler), gilt als herausragender Informatiker. Bitcoin ist eine private, dezentral erstellte digitale Kryptowährung. In den vergangenen zwölf Monaten ist der Bitcoin-Kurs um 650 Prozent gestiegen, es gab aber auch schon Abstürze. Die Bundesbank hält Bitcoin daher nicht für ein richtiges Parallelgeld, sondern eher für ein Spekulationsobjekt. Andere sehen darin den ersten Ansatz für ein entstaatlichtes Geld.
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Flyer (PDF) ➡ INNOVATIVES KRYPTOSYSTEM PLATINCOIN
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Als letzter Hauptredner wird der in London lehrende Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl über geschichtliche Erfahrungen mit alternativen Währungen sprechen. Frühe nichtstaatliche alternative Wertzeichen waren die Wechselbriefe des Mittelalters. Während der deutschen Hyperinflation in den Jahren 1922 und 1923 gab es in zahlreichen Orten von Kreditvereinen herausgegebenes Notgeld. „Das ist aber sehr schnell wieder zusammengebrochen“, erinnert Ritschl. Entscheidend sei stets die Glaubwürdigkeit und Bonität des Emittenten, der für den Wert garantierte. Andere private Wertzeichen seien mit Warenwerten unterlegt gewesen, meist mit Edelmetall wie Gold oder Silber. Nur dann habe das Geld sich gehalten. Für die Zukunft kann sich Ritschl höchst unterschiedliche Innovationen vorstellen, auch eine neue „Kryptomark“ als Alternative zum Euro.
Neben den großen Vorträgen gibt es 400 Kurzreferate, die aus 800 Einsendungen ausgewählt wurden. Rund 100 Gutachter waren dafür im Einsatz. „Ziel war es, aus allen Feldern der Ökonomie gute Beiträge zu finden“, sagt Christine Zulehner von der Frankfurter Goethe-Universität, die die offene Tagung organisiert hat. Zusätzlich zu den wissenschaftlichen Sitzungen wird es in Wien erstmals einen Schülertag geben – dort soll die Jugend mit der „Faszination Wirtschaftswissenschaft“ in Kontakt kommen, so der Vortragstitel von Ernst Fehr, einem bekannten Verhaltensökonomen von der Universität Zürich.
Quellen: F.A.Z. – Philip Plickert / https://platincoinsite.blog